10215 Die Überlastungsanzeige im Krankenhaus: ein Präventionsinstrument
|
Unvorhergesehene Belastungsspitzen können Ärzte und Pflegepersonal an ihre Leistungsgrenzen bringen; manchmal ist eine ausreichende Versorgung der Patienten nicht mehr gewährleistet. In diesem Zusammenhang wird vermehrt die an den Vorgesetzten oder an den Krankenhausträger gerichtete „Überlastungsanzeige” diskutiert. Dieser Beitrag beschreibt, welche rechtlichen Wirkungen eine „Überlastungsanzeige” entfaltet, was bei ihr zu beachten ist und wo ihre Grenzen liegen. von: |
1 Einleitung und Zielsetzung
Hohe Anforderungen an Klinikpersonal
Die Beschäftigten im Krankenhaus tragen hohe Verantwortung: Ihr Handeln kann über Leben und Tod des Patienten entscheiden. Von ihnen wird verlangt, unter oft starkem Zeitdruck äußerst sorgfältig zu arbeiten und hohe fachliche Qualitätsstandards zu erfüllen.
Die Beschäftigten im Krankenhaus tragen hohe Verantwortung: Ihr Handeln kann über Leben und Tod des Patienten entscheiden. Von ihnen wird verlangt, unter oft starkem Zeitdruck äußerst sorgfältig zu arbeiten und hohe fachliche Qualitätsstandards zu erfüllen.
Für den Patienten bedeutet ein stationärer Aufenthalt eine psychische Ausnahmesituation. Das Krankenhauspersonal soll ihn während seines Krankenhausaufenthalts kompetent begleiten. Es soll ihm aber nicht nur fachlich korrekt, sondern auch emotional zugewandt begegnen und seine Bedürfnisse wahrnehmen. Dies erwarten Patienten, Angehörige und Krankenhausträger vom Krankenhauspersonal – nicht zuletzt stellen die Ärzte und das Pflegepersonal diesen hohen Anspruch aber auch an sich selbst.
Folgen bei Fehlern
Fehler in der medizinisch-pflegerischen Versorgung können fatale Folgen haben und beim Patienten bleibende Gesundheitsschäden oder seinen Tod verursachen. Damit ist nicht nur menschliches Leid verbunden. Es bestehen auch Haftungsrisiken mit Schadensersatzforderungen in erheblicher Höhe sowie die Gefahr betriebswirtschaftlicher Einbußen, auch wegen eines möglichen Imageverlusts des Krankenhauses. Dem Mitarbeiter, der nicht sorgfältig genug gearbeitet und dadurch beim Patienten einen Schaden verursacht hat, drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen. Das reicht bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Krankenhausträger. Dem Klinikmitarbeiter kann darüber hinaus eine zivil- und/oderstrafrechtliche Verfolgung drohen [1], [2].
Fehler in der medizinisch-pflegerischen Versorgung können fatale Folgen haben und beim Patienten bleibende Gesundheitsschäden oder seinen Tod verursachen. Damit ist nicht nur menschliches Leid verbunden. Es bestehen auch Haftungsrisiken mit Schadensersatzforderungen in erheblicher Höhe sowie die Gefahr betriebswirtschaftlicher Einbußen, auch wegen eines möglichen Imageverlusts des Krankenhauses. Dem Mitarbeiter, der nicht sorgfältig genug gearbeitet und dadurch beim Patienten einen Schaden verursacht hat, drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen. Das reicht bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Krankenhausträger. Dem Klinikmitarbeiter kann darüber hinaus eine zivil- und/oderstrafrechtliche Verfolgung drohen [1], [2].
Pflegenotstand
Aus den Krankenhäusern wird vom „Pflegenotstand” berichtet, von chronischer Personalknappheit bei ständig zunehmender Arbeitsverdichtung. Es bleibe immer weniger Zeit zur Erfüllung der Kernaufgaben. Belastungsspitzen könnten kaum noch aufgefangen werden, da keine personellen Reservekapazitäten vorhanden seien. Bei der Frage, wie diesen Phänomenen kurzfristig sinnvoll begegnet werden kann, wird in den letzten Jahren die „Überlastungsanzeige” vermehrt als eine zweckmäßige Reaktionsmöglichkeit empfohlen.
Aus den Krankenhäusern wird vom „Pflegenotstand” berichtet, von chronischer Personalknappheit bei ständig zunehmender Arbeitsverdichtung. Es bleibe immer weniger Zeit zur Erfüllung der Kernaufgaben. Belastungsspitzen könnten kaum noch aufgefangen werden, da keine personellen Reservekapazitäten vorhanden seien. Bei der Frage, wie diesen Phänomenen kurzfristig sinnvoll begegnet werden kann, wird in den letzten Jahren die „Überlastungsanzeige” vermehrt als eine zweckmäßige Reaktionsmöglichkeit empfohlen.
Zielsetzung
In diesem Beitrag erfahren Sie
In diesem Beitrag erfahren Sie
| • | in welchen rechtlichen Rahmen die Überlastungsanzeige einzuordnen ist, |
| • | welche arbeitsrechtlichen Besonderheiten zu bedenken sind, |
| • | welchen Einfluss eine Überlastungsanzeige auf die zivilrechtliche Haftung bei Schadensereignissen hat, |
| • | welche strafrechtlichen Folgen sich aus ihr ergeben, |
| • | was bei der Gestaltung einer Überlastungsanzeige zu beachten ist, |
| • | welche Berührungspunkte mit der Tätigkeit des Personal- oder Betriebsrats bzw. der Mitarbeitervertretung bestehen, |
| • | wie sie als Instrument des Qualitätsmanagements eingeführt werden kann, |
| • | welche Chancen die Überlastungsanzeige bietet, |
| • | wo ihre Grenzen liegen. |
2 Rechtlicher Rahmen
„Überlastungsanzeige” kein Rechtsbegriff
Die deutsche Gesetzgebung kennt den Begriff der „Überlastungsanzeige” nicht [2]. Auch in Tarifverträgen wird er, soweit ersichtlich, nicht verwendet [2].
Die deutsche Gesetzgebung kennt den Begriff der „Überlastungsanzeige” nicht [2]. Auch in Tarifverträgen wird er, soweit ersichtlich, nicht verwendet [2].
Definition
Gemeint ist mit dem Begriff „Überlastungsanzeige” immer der ausdrückliche Hinweis eines Arbeitnehmers an seinen Vorgesetzten oder seinen Arbeitgeber,
Gemeint ist mit dem Begriff „Überlastungsanzeige” immer der ausdrückliche Hinweis eines Arbeitnehmers an seinen Vorgesetzten oder seinen Arbeitgeber,
| • | dass er – der Arbeitnehmer – aus sachlichen Gründen die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben nicht gewährleisten kann und |
| • | dadurch der Eintritt eines Schadens droht, verbunden mit |
| • | der Bitte, Abhilfe zu schaffen. |
Begriff irreführend
Der Begriff „Überlastungsanzeige” ist missverständlich und irreführend: Er erweckt den Eindruck, der anzeigende Beschäftigte sei subjektiv „überlastet”. Es kann scheinen, als könne der Mitarbeiter die von ihm erwartete Arbeitsleistung aus Gründen, die in seiner Person liegen nicht erbringen. Eine solche Sichtweise geht aber am eigentlichen Problem vorbei: Die als gefährlich eingeschätzte Situation ist gerade nicht auf mangelnde Leistungsfähigkeit oder mangelnde Anstrengungsbereitschaft des Mitarbeiters zurückzuführen. Vielmehr liegt ihre Ursache in den objektiven Rahmen-bedingungen, die es auch dem leistungsfähigen und leistungswilligen Mitarbeiter unmöglich machen, den ordnungs-gemäßen Zustand einer Organisationseinheit, z. B. einer Pflegestation, zu gewährleisten. Anders ausgedrückt: Obwohl der Mitarbeiter sämtliche seiner arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllt (und sich im Krankenhausalltag häufig weit über die reine Pflichterfüllung hinaus persönlich engagiert), besteht die von ihm angezeigte Gefahrensituation.
Der Begriff „Überlastungsanzeige” ist missverständlich und irreführend: Er erweckt den Eindruck, der anzeigende Beschäftigte sei subjektiv „überlastet”. Es kann scheinen, als könne der Mitarbeiter die von ihm erwartete Arbeitsleistung aus Gründen, die in seiner Person liegen nicht erbringen. Eine solche Sichtweise geht aber am eigentlichen Problem vorbei: Die als gefährlich eingeschätzte Situation ist gerade nicht auf mangelnde Leistungsfähigkeit oder mangelnde Anstrengungsbereitschaft des Mitarbeiters zurückzuführen. Vielmehr liegt ihre Ursache in den objektiven Rahmen-bedingungen, die es auch dem leistungsfähigen und leistungswilligen Mitarbeiter unmöglich machen, den ordnungs-gemäßen Zustand einer Organisationseinheit, z. B. einer Pflegestation, zu gewährleisten. Anders ausgedrückt: Obwohl der Mitarbeiter sämtliche seiner arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllt (und sich im Krankenhausalltag häufig weit über die reine Pflichterfüllung hinaus persönlich engagiert), besteht die von ihm angezeigte Gefahrensituation.
Synonyme für Überlastungsanzeige
In der Literatur wird darum die Verwendung anderer Begriffe vorgeschlagen, die die negative Konnotation eines „nicht belastbaren” Mitarbeiters vermeiden und andere Aspekte in den Fokus rücken [1], [2], [3], [4]. Dazu zählen z. B.
In der Literatur wird darum die Verwendung anderer Begriffe vorgeschlagen, die die negative Konnotation eines „nicht belastbaren” Mitarbeiters vermeiden und andere Aspekte in den Fokus rücken [1], [2], [3], [4]. Dazu zählen z. B.
| • | Gefährdungsanzeige, |
| • | Gefahrenanzeige, |
| • | Präventionsanzeige, |
| • | Entlastungsanzeige, |
| • | Qualitätsanzeige, |
| • | Anzeige zur Erhaltung der Qualitätsstandards. |
Obwohl die Gründe für eine andere Bezeichnung inhaltlich überzeugen, spricht auch dieser Artikel von der „Überlastungsanzeige”, da sich dieser Begriff bereits eingebürgert hat. Für die rechtlichen Wirkungen ist es ohne Belang, wie die Überlastungsanzeige genannt wird.
2.1 Ausnahmesituation
Überlastungsanzeige bei unerwartetem Engpass
Die Überlastungsanzeige weist immer auf eine besondere, außergewöhnliche Situation hin: Eine akute Sachlage erfordert einerseits eine unverzügliche Intervention durch den Vorgesetzten, um drohenden Schaden abzuwenden. Andererseits muss eine kurzfristige Intervention aber auch geeignet sein, das Risiko eines Schadenseintritts abzuwehren oder wesentlich zu reduzieren. Die Überlastungsanzeige ist somit kein Steuerungsinstrument des Krankenhausmanagements – sie betrifft nicht die langfristige Personalplanung und zielt weder auf eine dauerhafte Aufstockung des Stammpersonals noch auf grundsätzliche Umstrukturierungsmaßnahmen ab. Vielmehr geht es bei ihr um die Überbrückung einer Ausnahmesituation bei einer akuten Belastungsspitze. Allerdings kann gerade eine Häufung von Überlastungsanzeigen dem Krankenhausträger die Notwendigkeit verdeutlichen, seine Unternehmensstrategie, seine Personalplanung und seine Organisationsstrukturen grundsätzlich zu überdenken und zu optimieren.
Die Überlastungsanzeige weist immer auf eine besondere, außergewöhnliche Situation hin: Eine akute Sachlage erfordert einerseits eine unverzügliche Intervention durch den Vorgesetzten, um drohenden Schaden abzuwenden. Andererseits muss eine kurzfristige Intervention aber auch geeignet sein, das Risiko eines Schadenseintritts abzuwehren oder wesentlich zu reduzieren. Die Überlastungsanzeige ist somit kein Steuerungsinstrument des Krankenhausmanagements – sie betrifft nicht die langfristige Personalplanung und zielt weder auf eine dauerhafte Aufstockung des Stammpersonals noch auf grundsätzliche Umstrukturierungsmaßnahmen ab. Vielmehr geht es bei ihr um die Überbrückung einer Ausnahmesituation bei einer akuten Belastungsspitze. Allerdings kann gerade eine Häufung von Überlastungsanzeigen dem Krankenhausträger die Notwendigkeit verdeutlichen, seine Unternehmensstrategie, seine Personalplanung und seine Organisationsstrukturen grundsätzlich zu überdenken und zu optimieren.
2.2 Intention der Anzeige
Die Überlastungsanzeige verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele:
| Information als Voraussetzung zur Intervention | |
| 1. | Der Vorgesetzte (der Arbeitgeber) soll auf eine Situation hingewiesen werden, bei der der Eintritt eines Schadens droht, wenn nicht gegengesteuert wird – und zwar beim Krankenhausträger selbst, seinen Mitarbeitern (vor allem dem Anzeigenden) oder Dritten, worunter im Krankenhaus in erster Linie die Patienten zu verstehen sind. Zugleich wird dem Vorgesetzten (dem Arbeitgeber) mit der Information die Möglichkeit eröffnet, für wirksame Abhilfe zu sorgen. |
| Schutz des Mitarbeiters | |
| 2. | Der anzeigende Mitarbeiter möchte sich durch die Anzeige persönlich absichern. Wenn nach der Erstattung der Anzeige durch die beanstandete Situation ein Schaden eintritt, kann sich die Überlastungsanzeige für den Mitarbeiter günstig auswirken: Das gilt bezüglich möglicher arbeitsrechtlicher Maßnahmen des Arbeitgebers gegen den Mitarbeiter, aber auch im Hinblick auf seine persönliche Haftung für Schäden beim Patienten und auf seine strafrechtliche Verantwortung. |
2.3 Pflicht des Beschäftigten zur Schadensabwendung
Jedes Arbeitsverhältnis ist nicht nur durch seine Hauptpflichten – Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer und Vergütung durch den Arbeitgeber – gekennzeichnet, sondern auch durch arbeitsvertragliche Nebenpflichten.
Treuepflicht aus Arbeitsvertrag
Die Nebenpflichten des Arbeitnehmers werden unter dem Begriff der „Treuepflicht” zusammengefasst, mit denen die als „Fürsorgepflicht” bezeichneten Nebenpflichten des Arbeitgebers korrespondieren. Unstreitig zählt es zu der Treuepflicht des Arbeitnehmers, Schaden von seinem Arbeitgeber abzuwenden. Diese „Schadensabwendungspflicht” ist eine echte Rechtspflicht des Arbeitnehmers, auch wenn sie im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich erwähnt wird.
Die Nebenpflichten des Arbeitnehmers werden unter dem Begriff der „Treuepflicht” zusammengefasst, mit denen die als „Fürsorgepflicht” bezeichneten Nebenpflichten des Arbeitgebers korrespondieren. Unstreitig zählt es zu der Treuepflicht des Arbeitnehmers, Schaden von seinem Arbeitgeber abzuwenden. Diese „Schadensabwendungspflicht” ist eine echte Rechtspflicht des Arbeitnehmers, auch wenn sie im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich erwähnt wird.
Erkennt ein Mitarbeiter in der Klinik Umstände, die die fachgerechte Versorgung des Patienten ernstlich gefährden, muss er handeln. Kann er den festgestellten Missstand nicht mit den Mitteln beseitigen, die ihm persönlich zur Verfügung stehen, so ist er rechtlich verpflichtet, seinen Vorgesetzten darüber zu informieren [1]. Eine typische Situation aus der Praxis [3], [5], [6]: Wegen gleichzeitiger Krankmeldungen mehrerer Stationsmitarbeiter kommt es zu einer unvorhergesehenen personellen Unterbesetzung auf der Station und es gelingt nicht, diese befriedigend aufzufangen – sei es durch Vertretungen von anderen Stationen, Springer oder Aushilfen oder durch eine Änderung des Dienstplans.
