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06104 Smarte Zeiten für Senioren

Der demografische Wandel, einhergehend mit einer steigenden Zahl älterer Menschen und schwindenden Personalressourcen, rückt den Bedarf an neuen Versorgungsstrukturen für die Seniorenbetreuung und -pflege in den Blick. Innovative Konzepte reichen von angepassten Wohnmodellen über weitgehende digitale Lösungen bis hin zu eigenen, scheinbar zeitenthobenen Welten für die dementen Patienten. Der vorliegende Beitrag stellt einige, auch internationale Beispiele vor. Worauf sollten sich Qualitätsbeauftragte in der Gesundheitsversorgung und der Pflege vorbereiten?
von:

1 Demografische Herausforderungen

1.1 Deutschland

Dieser Beitrag erläutert Ihnen innovative Konzepte für die Versorgungsstrukturen in der Seniorenbetreuung, die den digitalen Wandel auch mittels smarter Lösungen fördern können.
Die deutsche Alterspyramide hat schon lange ihre Basis verloren. Die Beule der gebärfreudigen 1960er Jahre wandert künftig in die Spitze zu den 70- und 80-Jährigen und die Basis der Pyramide ist zu einem Urnenfuß geschmolzen. Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung zeigen, dass die Zahl der 65-Jährigen und Älteren seit 1991 von 12 Millionen auf 18,4 Millionen im Jahr 2021 deutlich gestiegen ist. Der Anteil der älteren Menschen ab 65 wird 2034 doppelt so hoch sein wie jener der jungen Generation bis 18 Jahre. [1]
Kritische Engpässe
Die sozialen Systeme in Deutschland stehen mit dieser Entwicklung vor gewaltigen Herausforderungen. Woher sollen in den nächsten Jahren die nötigen Pflegekräfte kommen? Wie kann die Betreuung der Seniorengeneration finanziert werden? Die deutschen Pflegekassen stehen bereits heute vor kritischen Engpässen: Nur noch die Pflegegrade 4 und 5 mit Behindertengrad D und E können in Pflegeeinrichtungen untergebracht werden. Für den Pflegegrad 3 kommt dagegen nur ein betreutes Wohnen in privater Hand infrage. Nun ist Deutschland nicht allein mit dem Problem einer vergreisenden Bevölkerung. Ein Blick in andere Länder könnte vielleicht neue Ideen bringen.

1.2 Chinas virtuelle Altenheime

Auch in Deutschland denkbar?
In China führte die jahrzehntelange Ein-Kind-Politik viel stärker als in anderen Gesellschaften zu einem massiven Betreuungsproblem für alte Menschen. 400 Millionen Rentner müssen im Jahr 2050 versorgt werden. Die chinesische Regierung installiert bereits sogenannte virtuelle Altenheime und setzt auf eine Betreuung durch Technik. In riesigen Kommandozentralen laufen unzählige Gesundheitsdaten in Echtzeit ein. Das Vorzeigeprojekt in der ostchinesischen Millionenstadt Tainjin ist eines von über zweihundert Pilotprojekten des Landes. Hier liefern smarte Armbänder, Sensoren und Mini-Roboter die Daten von etwa 160.000 Senioren: Blutdruck, Herzfrequenz, Bewegungen, aber auch den Verbrauch von Wasser und Strom. Eine Telefonzentrale organisiert auf Anfrage Haushaltshilfen und Essenslieferungen. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, löst der Computer Alarm aus und das Call-Center übernimmt, ruft an, fragt, ob der zu Hause Betreute Hilfe braucht. Eine Arztassistentin macht wöchentlich einen kleinen medizinischen Check. Die Familienangehörigen und Gemeindebetreuer erhalten Zugang zu den Daten [2].

1.3 Die digitale Alternative

Roboter für einsame Senioren sinnvoll?
Im Vergleich zu den Deutschen sind die technikaffinen Japaner den Robotern eher zugetan, denn diese repräsentieren eine Welt der Gefühle zwischen einem Lebenden und einem nicht lebenden Wesen. Mittlerweile begleitet der kindgroße Roboter Pepper einkaufende Hausfrauen in Supermärkten. Das Unternehmen Kokoro spezialisierte sich auf den Bau von menschenähnlichen Robotern wie Nadine. Sie kann als beeindruckende Nachbildung der Professorin Nadia Magnenat-Thalmann im Paderborner Heinz-Nixdorf-Museum erlebt werden.
Das Unternehmen Vinclu bietet seit 2016 für das langfristige Single-Dasein eine leichter zu transportierende Lösung an: das virtuelle Robotermädchen Hikari in einer Hologramm-Kammer, etwa so groß wie eine Schreibtischlampe. Die sogenannte Gatebox ist mit Sensoren für Bewegung, Helligkeit, Temperaturen und Sprache ausgestattet und kostet etwa 1.300 US-Dollar [3]. Der Anime-Charakter will einsame Menschen als virtuelle Freundin im Alltag begleiten. Augenscheinlich erfolgreich.

1.4 Die japanischen „home helper”

Alltagshelfer bei überalteter Gesellschaft
Die japanische Bevölkerung gilt mit der höchsten Lebenserwartung von 83,8 Jahren als die am schnellsten alternde weltweit. Für die häusliche Betreuung setzt die Regierung in der gesetzlichen Pflegeversicherung aber auf menschliches Pflegepersonal, für die zuständigen Kommunen überwiegend von privaten Dienstleistern. Die wird bei den pflegefremden Tätigkeiten (wie z. B. Einkäufe, Telefonate etc.) durch 430.000 „home helper”, meist nicht festangestellten Personen über 60 Jahre, entlastet. Sie kümmern sich neben der Grundpflege (lt. SGB XI [4]) und deren Dokumentation auch um die Reinigung der Räume, das Bettenmachen, die Zubereitung der Mahlzeiten, das Aufräumen. Durch die regelmäßige Kontaktaufnahme überwachen sie das Wohlbefinden und übernehmen die Rolle eines Gesprächspartners.
Schließlich sind 80 % der japanischen Senioren noch gesund und können die verbleibenden Lebensjahre durch gesellschaftliche Teilhabe und gegenseitige Hilfe sinnvoll verlängern. Das Mitsubishi Research Institute möchte deren Ansehen in der Bevölkerung verbessern und schuf dazu 2010 den Begriff der „Platinum Society” als Alternative zum eher negativen Begriff „Silver Society”.
Community-Based Integrated Care System
Natürlich wird sich der Personalmangel in der Pflege erneut verschärfen, wenn die „home helper” aus Altersgründen einmal ihre Tätigkeit aufgeben müssen und keine jungen Arbeitskräfte nachrücken. Mitsubishi fördert daher den Mehrgenerationen-Aspekt mit mehreren Projekten. Spätestens ab 2025 soll auf lokaler Ebene die Pflege flächendeckend in allen japanischen Gebietskörperschaften in ein „Community-Based Integrated Care System” mit den beiden Versorgungsbereichen Pflege und Gesundheit integriert werden [5].

1.5 USA: Die Neun-Dollar-Krankenschwester

Das Gesundheitssystem der USA ist eine Mischung aus einigen staatlichen Anbietern wie Medicare und Medicaid und einer Vielzahl an privaten Programmen. Die Kosten für medizinische Behandlungen und Medikamente sind allerdings auf einem weltweiten Höchststand. Fast 26 Millionen US-Amerikaner sind ohne Krankenversicherung. [6] In diese Lücke springen oft gemeinnützige Organisationen ein.
Bedarfsorientierte Travel Nurses
Etwa 80 % der über 3 Millionen amerikanischen Pflegepersonen sind akademisch ausgebildet. Im Zuge der Corona-Pandemie kündigten Tausende von Pflegerinnen und Pflegern entnervt ihren Job. Ein US-Unternehmen nutzte diesen Zeitpunkt, als 2023 in den USA landesweit 32.000 Pflegekräfte streikten und sicherte sich einen großen Teil dieser Fachkräfte. Kliniken suchen nun händeringend im ganzen Land Personal und greifen auf das Geschäftsmodell der „travel nurses” zurück, die als reisende Krankenschwestern in den Bundesstaaten herumziehen und ihre Dienste für rund 6.000 Dollar pro Woche anbieten. Betuchte Rentner indes flüchten sich in den Wintermonaten in die warmen Südstaaten und verursachen dort mit ihren Gebrechen und Krankheiten saisonale Engpässe [7] in der Gesundheitsversorgung.
KI-Avatare im Einsatz
Der kalifornische Chip-Entwickler Nvidia dagegen bietet nun in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsunternehmen Hippocratic AI sprachbasierte digitale Agenten als generative KI-Krankenschwestern an, die für nur 9 US-Dollar pro Stunde arbeiten. Seine KI-Krankenschwestern sollen laut einer Umfrage menschliche Krankenschwestern in Bezug auf Verhalten am Krankenbett und Bildung übertreffen und diese bei der Zufriedenheit nur knapp verfehlen. KI-Avatare mit menschlichem Erscheinungsbild beantworten per Videoanruf in Echtzeit Fragen vom Koloskopie-Screening bis zur Brustkrebs-Nachsorge, dürfen aber keine Diagnosen stellen [8].

2 KI und Robotik

2.1 ChatGPT und Alexa

In Deutschland ist Pflege im Sinne von Langzeitpflege von Krankenpflege abgegrenzt. Sie umfasst rechtlich nicht nur die Altenpflege, sondern wird als Pflege von Menschen aller Altersgruppen verstanden. Dem katastrophalen Fachkräftemangel beim Pflegepersonal will man mit etlichen Applikationen begegnen.
Vor allem die Hersteller von Pflegerobotern wittern einen großen Markt. Amazons Alexa hat schon Eingang in die Heime gefunden. Zur Unterhaltung soll ChatGPT beitragen, allerdings ist die KI mit ihren Witzen nicht besonders gut angekommen [9].
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