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10740 Betriebliches Eingliederungsmanagement: Gemeinsam den Arbeitsplatz erhalten

Ist ein Beschäftigter länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres krank, dient das „Betriebliche Eingliederungsmanagement” dazu, seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Es ist vom Arbeitgeber für Beschäftigte aller Branchen anzubieten, also auch den Arbeitnehmern, die im Gesundheitswesen mit vielfältigen und oft belastenden Anforderungen konfrontiert sind.
Der Beitrag stellt die Voraussetzungen und Ziele des Eingliederungsmanagements dar, geht auf die rechtlichen und betrieblichen Rahmenbedingungen ein und gibt Hinweise für eine praxisnahe Umsetzung.
von:

1 Rechtliche Rahmenbedingungen

Langandauernde krankheitsbedingte Fehlzeiten können den Arbeitsplatz gefährden. Diesem Risiko frühzeitig gegenzusteuern und gemeinsam Lösungswege aufzuzeigen, ist das Ziel des Betrieblichen Eingliederungsmanagements. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, seinen Mitarbeitern ein solches Eingliederungsmanagement anzubieten. Der Beitrag gibt Hinweise, wie das geschehen kann und was dabei zu beachten ist.
Die Regelung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement wurde in das Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) – eingefügt. Sie verpflichtet den Arbeitgeber, bei Vorliegen der Voraussetzungen seinen Mitarbeitern ein Betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten. Die Vorschrift benennt Ziele, Voraussetzungen und Akteure des Eingliederungsmanagements und gibt für die Durchführung einen groben Rahmen vor. Waren in den ersten Jahren nach Einführung der gesetzlichen Regelung viele Punkte hierzu äußerst umstritten, so hat inzwischen die Rechtsprechung – vor allem des Bundesarbeitsgerichts – für die meisten praxisrelevanten Streitfragen Klarheit schaffen können.

1.1 Voraussetzungen

Sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Jahres
Wesentlichste Voraussetzung ist die Dauer der Arbeitsunfähigkeit: Ist ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt, so ist diese Voraussetzung für ein Eingliederungsmanagement erfüllt. Es ist unerheblich, ob es sich um eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit handelt oder ob die sechs Wochen sich aus mehreren kürzeren Zeiten zusammensetzen.
Unabhängig von Krankheitsursache
Auch auf die Krankheitsursache(n) kommt es nicht an: Weder muss zwischen den einzelnen Fehlzeiten ein medizinischer Zusammenhang bestehen, noch muss die Erkrankung mit der Arbeitstätigkeit zusammenhängen. Schließlich ist das Eingliederungsmanagement jedem Beschäftigten unabhängig davon anzubieten, ob er (schwer)behindert ist oder nicht.
Konkrete Arbeitsplatzgefährdung keine Voraussetzung
Das Eingliederungsmanagement ist unabhängig davon anzubieten, ob im konkreten Fall der Arbeitsplatz tatsächlich gefährdet ist. Das Instrument des Eingliederungsmanagements möchte gerade schon der Arbeitsplatzgefährdung vorbeugen; es setzt daher zeitlich sehr früh und knüpft mit der Dauer der Arbeitsunfähigkeit an objektive Kriterien an, die sich ohne großen Aufwand feststellen lassen.

1.2 Arbeitgeber muss Eingliederungsmanagement anbieten

Arbeitgeberpflicht
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so muss der Arbeitgeber ein Betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten.
Zustimmung des Beschäftigten unbedingt erforderlich
Ob das vom Arbeitgeber angebotene Betriebliche Eingliederungsmanagement auch durchgeführt wird, liegt in der Hand des erkrankten Arbeitnehmers. Er ist nicht verpflichtet, an einem Eingliederungsmanagement mitzuwirken; vielmehr ist die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements unbedingt erforderlich. Diese Freiwilligkeit ist rechtlich garantiert und auch im Hinblick auf die Erfolgsaussichten sinnvoll. Verweigert der Beschäftigte die Durchführung des Eingliederungsmanagements, dürfen ihm daraus keine Nachteile erwachsen. Überdies kann er eine einmal erteilte Zustimmung jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen.

1.3 Ziele

Arbeitsplatz erhalten, Hilfen nutzen
Das Gesetz nennt drei Ziele des Betrieblichen Eingliederungsmanagements: Mit ihm sollen die Möglichkeiten geklärt werden,
wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden,
mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden und
wie der Arbeitsplatz erhalten werden kann.

1.4 Akteure

Arbeitgeber, Beschäftigter, Betriebsrat
Der Arbeitgeber (oder sein Beauftragter), der Beschäftigte und die Interessenvertretung der Beschäftigten (in der Regel der Betriebsrat oder der Personalrat) sind auf jeden Fall in den Prozess einbezogen.
Zu Angebot und Ausgestaltung des Eingliederungsmanagements ist der Arbeitgeber rechtlich verpflichtet.
Der Beschäftigte selbst sollte sich als aktiver Partner bei einer gemeinsamen Lösungssuche verstehen und nicht als passiver Hilfsempfänger. Er kann zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen.
Der Betriebs- oder Personalrat kann vom Arbeitgeber „die Klärung verlangen”, vor allem aber die Etablierung eines Eingliederungsmanagements als Verfahren im Betrieb anstoßen und im Einzelfall begleiten. Sollte in einem Betrieb keine Arbeitnehmervertretung bestehen, ist der Arbeitgeber gleichwohl zum Angebot eines Eingliederungsmanagements verpflichtet. Einen einklagbaren Individualanspruch gegen den Arbeitgeber auf Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements hat der Beschäftigte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts allerdings nicht.
Weitere Akteure
„Soweit erforderlich”, so das Gesetz, ist auch der Werks- oder Betriebsarzt hinzuzuziehen. Ist der Beschäftigte schwerbehindert, so ist auch die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen.

1.5 Durchführung

Ergebnisoffener Suchprozess
Im Gegensatz zum „Ob” ist das „Wie” des Eingliederungsmanagements rechtlich kaum geregelt. Das Gesetz benennt zwar Voraussetzungen, Ziele und Akteure, lässt aber weitestgehend offen, wie das Eingliederungsmanagement durchzuführen ist. Aus gutem Grund: Das Gesetz gilt für alle Branchen und für Betriebe aller Größen. Hierfür können keine allgemeingültigen Erfolg versprechenden Regelungen vorgegeben werden, die für alle Betriebe passen.
Management: Strukturierte generelle Regelung
Zwei Anhaltspunkte zur Durchführung lassen sich aber aus dem Gesetz ableiten: Aus dem Begriff „Klärung der Möglichkeiten” ist zu ersehen, dass es beim Eingliederungsmanagement um einen systematischen, gleichwohl ergebnisoffenen Suchprozess geht. Zugleich wird zum Ausdruck gebracht, dass ein konsensorientiertes Vorgehen und nicht einseitige Weisungen im Mittelpunkt stehen. Die Verwendung des Begriffs „Management” lässt darauf schließen, dass hier eine generelle, vom Einzelfall abstrahierte Struktur zu schaffen ist, bei der die Akteure gemeinsam Ziele und Vorgehensweisen festlegen, deren Umsetzung kontrollieren und ggf. den Gegebenheiten anpassen. Dokumentation und Evaluation sind weitere Bestandteile eines Managements.
Rechtlicher Rahmen als Minimalanforderung
Das Gesetz beschreibt Minimalanforderungen. Sofern der Angebots- und der Freiwilligkeitscharakter nicht infrage gestellt werden, kann der Arbeitgeber selbstverständlich auch schon zu einem früheren Zeitpunkt als nach sechs Wochen Hilfen anbieten – etwa wenn nach einem schweren Unfall oder einer Erkrankung absehbar ist, dass die Arbeitsunfähigkeit mehr als sechs Wochen andauern wird. Auch muss der Beschäftigte bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht warten, ob der Arbeitgeber von sich aus aktiv wird, sondern kann die Durchführung eines Eingliederungsmanagements anregen und (nach sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit) auch einfordern.
Keine Arbeitsplatzgarantie
Die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist ein gemeinsamer Versuch von Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsrat, den Arbeitsplatz zu erhalten – sie stellt aber keine Arbeitsplatzgarantie dar. Unter den sehr engen Voraussetzungen, unter denen das Arbeitsrecht eine krankheitsbedingte Kündigung zulässt, kann einem Beschäftigten auch dann gekündigt werden, wenn ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (im Ergebnis ohne Erfolg) durchgeführt wurde.

2 Betriebliche Rahmenbedingungen

2.1 Bedeutung für den Beschäftigten

Drohender Arbeitsplatzverlust als existenzielle Krise
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement setzt unmittelbar an einer Erkrankung des Beschäftigten an; es berührt damit höchstpersönliche Belange des Arbeitnehmers. Bei der Gefährdung des Arbeitsplatzes kann der Beschäftigte seine wirtschaftliche Existenz bedroht sehen. Neben den wirtschaftlichen Folgen bedeutet der Arbeitsplatzverlust häufig Sinnentleerung und soziale Isolation. Lange Krankheit und drohender Arbeitsverlust können für den Betroffenen eine existenzielle Krise darstellen, sodass beim Eingliederungsmanagement Augenmaß und Fingerspitzengefühl gefragt sind. Das Konzept des Eingliederungsmanagements geht davon aus, dass der Beschäftigte eine längere Arbeitsunfähigkeit als eine Belastung erlebt, an deren schnellstmöglicher Beseitigung er – unter Wahrung des medizinisch Erforderlichen – ein ausgeprägtes Eigeninteresse hat.
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